Angehörige

Depression und Partnerschaft

Richard S., Betroffener

"Depression zerstört halt Beziehungen". Diese Aussage einer nahestehenden Person verfolgte mich tagelang bei meinem Klinikaufenthalt. Verurteilt durch die Krankheit zur Beziehungsunfähigkeit? Der Klinikpsychologe beruhigt mich dann etwas: Statistisch gesehen könne man diese angebliche Beziehungs-Erschwerung nicht nachweisen.

Trotzdem: Ich war drinnen und meine Partnerin musste anfänglich auf meinen Wunsch draussen vor den Türen der Klinik bleiben. Dies zwang sie aber auch, ihren Weg weiterzugehen, unabhängig davon, was aus der Beziehung wird.

Eine schwere Depression wirft mich jeweils vollständig auf mich zurück. Zu Beginn öffnet sich zwar meine Seele meiner Partnerin gegenüber und möchte sich vollständig mitteilen. Bei schwerer Erkrankung überwiegt der Rückzug. Unfähig, aus dem Teufelskreis von Verzweiflung und Verweigerung auszubrechen. Unfähig, meinen Gefühlen und deren anderer zu trauen. Unfähig, Verantwortung in Beziehungen zur Partnerin oder den eigenen Kindern zu übernehmen. Was die Schuld- und Unfähigkeitsgefühle noch mehr steigert.

Wochenlange Verunsicherung in der Partnerschaft, zerbrechliche Begegnungen und Gespräche. Ich schwanke zwischen Akzeptieren von Unterstützung durch die Partnerin und Auflehnen gegen diese Abhängigkeit. Eine neue Tiefe entsteht, aus der ich mich schnell wieder entziehe, indem ich in die Stille des Waldes flüchte. Fast müssen wir eine neue Sprache finden, um uns wieder anzunähern und uns dann doch wieder fremd zu fühlen.

Schwierig ist es auch, dass gewisse Bereiche in der Beziehung vorübergehend nicht gelebt werden können. Zum Beispiel Sexualität, weil ich nichts empfinde oder weil ich in der Depression zu verletzlich bin. Die unerfüllte Sehnsucht nach Nähe, welche durch die Überangst erstickt wird.

Die Depressionen schaffen aber andererseits auch wieder Platz in der Beziehung: Es entsteht freie, gemeinsame Zeit für Erlebnisse, Gespräche und Beschäftigungen. Oder es entsteht über Wochen hinweg ein liebevolles Geschenk für meine Frau, das ich aus der geheimnisvollen Welt der Klinik nach Hause trage. Plötzlich nehme ich mir wieder einen Nachmittag pro Woche für die Kinder frei.

Manchmal wird es mit dem Thema Depression in der Beziehung aber auch einfach zu eng. Ewig die gleichen Gedanken und Gefühle. Wir brauchen Distanz, jeder geht seinen eigenen Weg. Dies erleben wir auch immer wieder als angstvollen Prozess, auf den wir uns einlassen müssen. Wir wissen nicht, wohin der Weg führt. Wir müssen uns loslassen, um uns diesen eigenen Weg auch gehen zu lassen.

Und trotz Erschwernissen: Unsere Beziehung ist durch das gemeinsame Durchschreiten solch schwerer Krisen gewachsen, mehr als in Zeiten von Sonnenschein und Vergnügung. Sie ist stärker geworden und verbindlicher. Unterdessen sind wir eine vierköpfige Familie geworden, ich bin momentan der Ernährer und arbeite nun als Selbständigerwerbender. So gesehen, waren die gemeinsam durchlittenen Depressionen auch eine Chance für unsere Beziehung.

Depressionen zeigen aber vielleicht auch die natürlichen Grenzen von Beziehung, wo jeder auf sich selbst zurückgeworfen und allein ist. Beziehung heisst dann Wechsel von Nähe und Distanz statt Symbiose. Ich wünsche mir sehr, dass wir in unserer Beziehung trotz Erschwernissen immer wieder die Kraft und Ausdauer haben - auch in schwierigen Zeiten - diesen Weg gemeinsam zu gehen.


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