Arbeitswelt

Erfahrungen einer Personalchefin

Monika G., Betroffene

Auszüge aus dem Referat an der Herbsttagung Equilibrium vom 20. Oktober 2001

Ich spreche nicht nur als Personalchefin zu Ihnen, sondern auch als Frau mit 15-jähriger Depressions- und Manie-Erfahrung.

Ich habe mir viele Gedanken dazu gemacht, ob ich diesen Schritt an die Öffentlichkeit wagen und mich 'outen' soll. Jetzt habe ich alle meine Zweifel über Bord geworfen und mich entschlossen, heute vor Sie zu treten, um Ihnen meine persönlichen Erfahrungen mitzuteilen und Ihnen Hoffnung zu machen. Denn die Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Krankheiten können meiner Meinung nach nur dann abgebaut werden, wenn auch wir als Betroffene offen über unsere Erfahrungen reden.

Was habe ich erlebt? Angefangen hat es damit, dass ich ständig müde war und bei verschiedenen Untersuchungen keine körperliche Erkrankung festgestellt wurde. Mein Zustand hat sich so stark verschlechtert, dass ich mich nicht mehr konzentrieren und der Arbeit als Projektleiterin fernbleiben musste. Mein Arzt stellte eine Depression fest und überwies mich an einen Psychiater. Endlich wusste ich, woran ich litt, und dass eine Behandlung dieser Krankheit möglich ist.

Die Arbeit hat mir sehr gefehlt – ich fühlte mich nutzlos und verkroch mich zu Hause. Ich wagte mich kaum noch aus der Wohnung, nahm keine Telefonanrufe mehr entgegen und verliess nur noch selten mein geliebtes Bett. Doch so überraschend mich die Depression jeweils heimgesucht hat, so unerfindlich blieben mir die Gründe für das plötzliche Auftauchen aus diesem gefühllosen Zustand.

Was hat mir geholfen? Ich hatte das Glück, eine Ärztin zu finden, die zu mir passt und zu der ich grosses Vertrauen habe. Sie hat meine Kopflastigkeit in die Behandlung eingebaut und mit mir Verträge abgeschlossen. Mit Ihrer Hilfe habe ich herausgefunden, dass ich mir selbst oft Steine in den Weg lege. Wir haben hart gearbeitet und die Therapiesitzungen waren teilweise sehr schmerzhaft. Inzwischen gelingt es mir sehr gut, auch "NEIN" zu sagen und zu ertragen, dass mich nicht immer alle Menschen gern haben. Es ist mir nicht gelungen, den ausgeprägten Perfektionismus ganz abzubauen, aber bei meiner neuen Arbeit als Personalchefin ist diese Eigenschaft auch nützlich.

Wie ist es mir an der Arbeitsstelle ergangen? Ich war von Anfang an sehr offen und habe meinen Vorgesetzten und meine Kolleg/-innen über die Krankheit und mein Befinden informiert. Erstaunlicherweise hatten die meisten von ihnen bereits Kontakt mit Menschen, die an Depressionen leiden und waren sehr interessiert an meinen Ausführungen. Am meisten gefreut hat mich, dass ich trotz meiner Krankengeschichte intern die Chance bekommen habe, mich als Personalchefin bewähren zu können. Besser noch: diese Erfahrungen wurden sogar sehr positiv gewertet und mir als Sozialkompetenz angerechnet.

Bin ich heute wirklich gesund? Ich habe sehr viel Kraft gebraucht für die Verdrängung der Krankheit. Denn jedes Mal, wenn es mir wieder besser ging, war mein wichtigster Gedanke: das passiert mir nie wieder! Vor zwei Jahren kam für mich die grosse Wende. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich zu Depressionen neige und deshalb eine neue Strategie gewählt. Ich kaufte zahlreiche Bücher zum Thema, besuchte Vorträge, surfte im Internet und wurde Mitglied des Vereins Equilibrium. Trotz grosser Vorbehalte konnte ich mich auch dazu entschliessen, die Selbsthilfegruppe Equilibrium in St. Gallen zu besuchen. Auch heute nehme ich regelmässig teil an diesen Treffen und freue mich über die tiefen Freundschaften, die aus diesem Kreis gewachsen sind.

Ich schliesse nicht aus, dass ich rückfällig werden könnte. Aber das Schreckgespenst Depression hat für mich seine schlimme Fratze verloren. Denn ein gutes Netzwerk um mich herum gibt mir Sicherheit. Trotz intensiver Belastung im Beruf fühle ich mich gesund.

Leider kann ich ihnen kein Patentrezept anbieten im Umgang mit Arbeitgebern. Mit meiner Offenheit habe ich gute Erfahrungen gemacht. Auch bei meiner Arbeit als Personalchefin ist es einfacher, Lösungen zu finden, wenn Mitarbeiter/-innen offen über ihre Probleme sprechen. Auch habe ich festgestellt, dass depressive Menschen überdurchschnittlich viel leisten und sehr gute Mitarbeiter/-innen sind.

Ich bin meiner Mutter, der ganzen Familie und meinen Freunden sehr dankbar, dass sie mich mit so viel Geduld liebevoll unterstützt haben. Ohne sie wäre ich wohl nicht um einen stationären Aufenthalt in der Psychiatrie herumgekommen.

Ich wünsche Ihnen viel Kraft für ein "JA" zur Krankheit Depression.


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