Behandlungsformen

Ein gewöhnlicher Tag in der Klinik

Claudia S., Betroffene

Da wäre mein Vorschlag. Ich finde den natürlich
nicht gut, aber ich schicke ihn dir trotzdem:

Um 7 Uhr 30 werden wir geweckt. Ich bin froh, dass ich diese Nacht doch noch zwei, drei Stunden geschlafen habe. Aufstehen fällt mir nicht so schwer wie Einschlafen. Meine Zimmernachbarin ist schon in der Dusche. Diesmal haben wir das Bad im Zimmer. Ich schätze das. Eigentlich wollte ich unbedingt ein 1er-Zimmer. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, mit jemandem das Zimmer zu teilen. Aber jetzt will ich nicht mehr allein sein. Mir tut meine Zimmernachbarin gut: Willkommenskärtchen, kurze Gespräche, mit ihr über etwas lästern, eine tröstende Hand, wenn das Leben zu fliessen aufhört und unheimlich weh tut, oder zusammen lachen über komische Situationen im Klinikalltag.

Feines Brot zum Frühstück: Woher kommt eigentlich die Ansicht, dass in einer psychiatrischen Klinik kein Luxus sein darf? Spitäler sind auch gut eingerichtet. Vielleicht weil man den psychisch Kranken ihre Krankheit nicht immer ansieht und man denkt, dass sie sich dort ein schönes Leben machen, während man selber hart arbeiten muss.

Gleich nach dem Frühstück beginnt das Programm: Arztvisite heisst einen Morgen lang rumsitzen und warten. Heute komme ich spät dran. Ich weiss genau, was ich den Arzt fragen möchte. Ungeduldig sitze ich mit anderen Patienten im Raucherzimmer. Obwohl ich selber rauche, bin ich froh, dass das Qualmen auf einen Raum beschränkt ist. Rummy ist zur Zeit das beliebteste Spiel. Wir spielen, damit die Zeit vergeht.

Der Arzt hört mir zu, gibt sich Mühe, mich in dieser kurzen Zeit zu verstehen und ruhig zu bleiben, wenn ich ungeduldig oder gar ungehalten werde. Dann muss ich weinen und merke, wie verzweifelt ich bin.

Nach der Arztvisite gibt's bereits Mittagessen: Ich sitze gerne immer am gleichen Platz vis-à-vis von x. Heute reden wir nichts. Dann ist frei bis zwei Uhr. Ich gehe auf mein Zimmer in der Hoffnung, meine Ängste mögen kleiner werden. Ich habe mich geirrt: alles Atmen, alles positive Denken und Visualisieren nützt nichts. Es ist zum Verzweifeln! Frustriert stehe ich auf und gehe in die Ergotherapie: Zum Glück gibt's die! Auch wenn's mir nachher nicht besser geht, hab ich trotzdem etwas gemacht, was mir ein bisschen gefällt.

Noch ein wenig im Park spazieren und sitzen. Schon gibt's wieder Essen. Die meisten Patienten können sich gar keine Zeit fürs Essen nehmen. Nach einer Viertelstunde ist der Speisesaal wieder leer. Es ist die Angst, die einem die Ruhe nimmt. Jetzt beginnt der Abend, vor dem ich Angst habe. Ob ich wohl diese Nacht schlafen kann? Ich fühle mich mies und frage meine Bezugsperson, ob sie sich etwas Zeit nimmt, um mit mir zu reden. Das ist so wichtig!

Zwei Zimmer wünsche ich mir: Das eine liebevoll und gemütlich eingerichtet. Es ist das 'Geniesser'-Zimmer. Dort verwöhnen einen liebevolle Hände und streicheln den vor Angst gekrümmten Rücken. Das andere ist das 'Wieder-in-Fahrt-kommen'-Zimmer. Dort kann man Boxen. Man wird unterstützt, diese wichtige Kraft, ohne die wir depressiv werden, wieder ins Fliessen zu bringen.

Sollte mein Zustand abermals so schlimm werden, gehe ich wieder in die Klinik. Es tut manchmal gut, aus allem auszusteigen, Verantwortung abzugeben, bis die Kraft wieder da ist und neu anzufangen.

Also gute Nacht, mir geht's gut, bin ziemlich zufrieden,
geniesse meine Arbeit, wer hätte das gedacht...


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