Behandlungsformen

Das ergotherapeutische Behandlungskonzept
bei depressiv Erkrankten

Theresa Witschi, Ergotherapeutin, Leiterin der Abteilung Therapien und Sozialdienst, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Die Ergotherapie ist, wie ihr Name sagt, eine handlungsorientierte Therapieform. In der Praxis heißt dies, dass die PatientInnen in der Ergotherapie, mit der Unterstützung der Ergotherapeutin, Handlungen ausführen und diese in Bezug auf den Handlungsverlauf aber auch in Bezug auf dabei auftretende Gefühle und Gedanken hin reflektieren. Dies bedeutet, dass den PatientInnen in der Ergotherapie ein Erfahrungs- und Lernfeld angeboten und die Eigenwahrnehmung angeregt wird.

Die PatientInnen können also (neue) Erfahrungen machen:

  • im Umgang mit sich selber
  • im Umgang mit andern Menschen
  • im Umgang mit Materialien


Daraus lassen sich die folgenden Ziele ergotherapeutischer Arbeit ableiten:

  • Förderung der Eigenwahrnehmung und der verbalen und nonverbalen Ausdrucksfähigkeit
  • Förderung der sozialen Kompetenzen
  • Förderung der individuellen Handlungskompetenzen

Die Mittel, die die Ergotherapeutin dabei einsetzt, sind vielfältig; es kann sich um handwerklich/gestaltende Techniken, praktische Verrichtungen des täglichen Lebens, Spiele als soziales und kognitives Training, Gruppenaktivitäten oder auch um Aktivitäten außerhalb der Klinik handeln.

Die Ergotherapeutin wählt, gemeinsam mit den PatientInnen die Aktivitäten so aus, dass diese in ihrem Anforderungsgrad den momentanen Fähigkeiten und Bedürfnissen sowie der Psychopathologie individuell angepasst sind. Konkret sieht das so aus: nach der Anmeldung, der Besprechung mit dem Behandlungsteam und dem Erstgespräch mit den PatientInnen legt die Ergotherapeutin die ersten Aktivitäten und Zielsetzungen fest und entwickelt daraus, immer im Einverständnis mit den PatienInnen, das individuelle Therapieprogramm; d.h. Behandlungsziele werden (wenn immer möglich) transparent gemacht.

In unserer Arbeit gehen wir von der Handlungstheorie nach Professor Mario von Cranach aus. Danach sind Tätigkeiten/Handlungen durch komplexe kognitive Verarbeitungsprozesse energetisiert und gesteuert, die der Handlung voraus gehen, sie begleiten und ihr nachfolgen. Diese kognitiven Verarbeitungsprozesse berücksichtigen Wissen über materielle Voraussetzungen und Gegebenheiten, gesellschaftliche Normen und Konventionen sowie über die eigenen Möglichkeiten, Fähigkeiten, Bedürfnisse und das momentane Befinden. Es sind dabei immer bewusste, geplante und beabsichtigte Tätigkeiten/Handlungen gemeint, im Unterschied zu Verhalten oder unbewussten Handlungen. So kann die Ergotherapeutin mittels eines entsprechenden Erfassungsinstrumentes Ressourcen und Defizite im Bereich des Handelns erkennen und die PatientInnen gezielt fördern.


Behandlungskonzept der Ergotherapie bei Depressiven

Gestützt auf unsere Erfahrungswerte in der ergotherapeutischen Arbeit mit Depressiven wenden wir ein spezifisches Behandlungskonzept an. Je nach Schweregrad der Krankheit formulieren wir in diesem Konzept unterschiedliche Zielsetzungen und dazu Aktivitäten, die sich in der Ergotherapie als sinnvoll erwiesen haben. Diese Aktivitäten stellen, je nach Phase, unterschiedliche Anforderungen an die PatientInnen.

Anfangs, in der Phase der schweren Depression, in welcher in der Regel Einzeltherapie angezeigt ist, handelt es sich um ganz einfache alltagsbezogene Tätigkeiten wie zum Beispiel Einkaufen am Kiosk, Pflanzen gießen, gemeinsam Tee zubereiten und trinken, spazieren gehen oder Musik hören. In dieser Phase sind das Herausführen aus der Inaktivität, die Erweiterung des Erlebnisspektrums, das Ablenken von Gedankenkreisen und das regelmäßige Kontaktangebot erste therapeutische Zielsetzungen.

Nicht alle Depressiven benötigen Einzeltherapie. Manche beginnen die Ergotherapie direkt mit der Gruppentherapie. Hier kann zu Beginn die regelmäßige Teilnahme an der Gruppe, d.h. das zeitliche Durchstehen der Therapiestunde mit Einstiegsrunde, Aktivitätsphase und Abschlussrunde, ein erstes Ziel sein, ohne dass die PatientInnen selber schon sehr aktiv sein müssen. Die Komplexität der Tätigkeiten und somit auch die Anforderungen an die PatientInnen steigen mit zunehmender Besserung des Zustandes und Verbesserung der Handlungsfähigkeit. Hat eine Patientin beispielsweise mit der Seidenmaltechnik durch kurze und einfache Handlungsabläufe rasch kleine Erfolgserlebnisse erzielt, so können die Anforderungen langsam gesteigert werden. Das kann eine Steigerung von einem kleinen Werkstück zu einem großen sein oder eine Arbeit nach einer Vorlage bis hin zu einem eigenen Entwurf inklusive Planung der einzelnen Handlungsschritte und selbständiger Arbeitsausführung.

Ich möchte noch kurz ein paar Worte zu den drei Phasen einer Therapieeinheit sagen:

  1. die Einstiegsrunde dient in erster Linie der Pflege des Kontaktes untereinander, ist also ein soziales Übungsfeld
  2. die Aktivitätsphase, in welcher die PatientInnen konkret tätig werden, sei es an individuellen Einzelarbeiten oder in einer Gruppenarbeit, dient in erster Linie der individuellen Förderung der Handlungskompetenz durch den Erwerb instrumenteller Fertigkeiten
  3. die Abschlussrunde, d.h. Nachbesprechung und Austausch über den Verlauf der Arbeiten , dient vor allem der Reflexion der Aktivität, dem Feedback von Therapeutin und Gruppenmitgliedern und der Förderung der Eigenwahrnehmung.

Die Nachbesprechung / das Überdenken der in der Ergotherapie ausgeführten Handlungen und Tätigkeiten hat speziell bei Depressiven eine wichtige Funktion. Denn mittels Fragen, Reflexion und handlungsbezogenem Feedback werden bei den PatientInnen Aufmerksamkeitsprozesse angeregt:

  1. Eine grundlegende, wichtige Erfahrung für Depressive ist oft schon die, dass das konkrete und zielgerichtete Tätigsein sowie gegebenenfalls die Zugehörigkeit zu einer Gruppe die momentane, persönliche Befindlichkeit verbessert. Durch die Nachbesprechung und das handlungsbezogene Feedback der Ergotherapeutin und allenfalls der Gruppenmitglieder geschieht eine momentane Korrektur der negativen Sichtweise.
  2. Durch das bewusste Betrachten und das differenzierte Nachfragen wird die Leistung der PatientInnen am Werk gewürdigt; d.h., negative Überzeugungen wie: "ich muss heute mit dem Werk fertig werden / ich habe heute wieder nichts geleistet / das Werk ist total missraten / mir gelingt sowieso nie etwas", werden hinterfragt und das Überdenken eigener Leistungsansprüche wie: "das müsste ich beim ersten Mal perfekt / besser können / das kann doch jeder" wird angeregt.
  3. Handlungsbezogenes Feedback zu einer handwerklichen Technik kann bei PatientInnen direkt zu Einsichten bezüglich dem eigenen Verhalten führen. So kam beispielsweise eine Patientin, darauf aufmerksam gemacht, dass sie beim Laubsägen mit unnötig viel Druck arbeitet, zur Feststellung, dass sie sich selber momentan aber auch generell im Leben sehr unter Druck setzt.
  4. Und nicht am Unwichtigsten, leiten sich aus der Nachbesprechung einer Aktivität die nächsten Schritte und Zielsetzungen der Therapie ab.

Auszüge aus ERGOTHERAPIE, 5/98, unter dem Titel "Ergotherapie mit Depressiven – eine Evaluationsstudie im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzeptes"


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