Krankheitsbild

Krankheit Depression?

John P. Kummer
Gründer und ehemaliger Präsident der Selbsthilfeorganisation Equilibrium

Die Depression soll eine Krankheit sein? Ist es nicht doch so, dass eine "depressive" Person ganz einfach nicht mag, keine Lust hat, weder zur Arbeit noch zu irgend etwas, immer müde ist, morgens nicht aufstehen will und lieber den Tag im Bett verbrächte....? Ja, das ist ein Teil der Symptome, aber es steckt viel mehr dahinter und es muss einen fassbaren Grund für diese sehr bekannten und "normalen" Symptome geben, denen auch ein psychisch Gesunder je nach Stimmung und manchmal absichtlich frönt.

Wie kam es, dass ich innert kurzer Zeit nicht mehr lachen konnte, meine intellektuellen Fähigkeiten verlor, dadurch ganz niedergeschlagen und menschenscheu wurde, dem angsterregenden und höchst befremdlichen Zustand und vor allem dem "Warum" nachgrübelte, meinem an sich geliebten Beruf nicht mehr nachgehen konnte, die Lust an allem verlor. Ich war sonst bekannt als fröhlicher Mensch mit freundlichem Gesicht, kontaktfreudig und immer aufgelegt zu einem Spass. Dazu dachte ich - es war vor Jahren - dass ich sicher der einzige Mensch auf Erden sei, den das Schicksal zu einem geistigen Krüppel schlug, für immer...Ja, plötzlich schien alles vorbei zu sein.

Wie fing sie eigentlich an, diese ganze Geschichte mit dem ICH? Ich hatte doch einen tollen Job und es ging mir gut, die Arbeit war interessant und die Verantwortung, die mir übertragen war, konnte ich locker tragen. Ich ging - wie man so sagt - auf in meiner Arbeit. Aber eines Tages fielen mir die vielen Vorgänge, Themen und Traktanden auf dem Tisch auf, die der Erledigung harrten, so dass ich begann, mich, meine innere Organisation von aussen zu betrachten.

Ich erhielt ein Bild vorgesetzt, das mir nicht gefiel: Unvermögen, mich auf einen Vorgang zu konzentrieren, ihn zu erledigen und dann den nächsten in Angriff zu nehmen. Da war langsam eine grosse Angst aufgetreten und diese verursachte schlussendlich eine geistige Blockade. Ich versuchte es mit einer Dringlichkeitsliste, war aber nicht imstande, diese nach Wichtigkeit zu klassieren und dann eine Einordnung vorzunehmen. Es war alles gleich wichtig. Ich begann meine Kompetenz in Frage zu stellen. Und dann war es passiert. Das unerträgliche Angstgefühl startete einen Teufelkreis des Grübelns, aus dem ich mich nicht befreien konnte. Es wurde eindeutig krankhaft. Ich schaute mich an: Da war einer, der inkompetent geworden war, nichts mehr schaffen konnte, kein Problem oder Problemchen mehr ruhig betrachten und dann lösen konnte. Was war denn passiert? Mein Gehirn hatte sich abgemeldet.

Wie sah es in mir aus in der tiefen Depression? Ich wusste es, damals in der tiefen Depression. Normalerweise schaue ich mich ja nicht an, aber in der Depression sehe ich nur mich. Alles Licht ist weg, obschon draussen die Sonne den wolkenlosen Tag überflutet mit einer grellen Wucht, die mich zutiefst schmerzt. Ich kann nicht teilhaben, denn ich bin allein, getrennt von den Menschen, vom Leben, das mich umgibt. Am liebsten wäre ich nicht mehr da, sondern irgendwo in einer Wolke. Warum möchte ich weg von allen und allem? Weil man mir meine entsetzliche Verzweiflung auf dem Gesicht nicht ansieht, oder etwa weil mein Inneres offengelegt ist und jedermann in meine Seele sehen kann ? Ich weiss es nicht, denn ich will einfach weg, weil ich nicht mehr wollen kann und niemand von meinem Zustand Notiz nimmt.

Den medizinische Ansatz, dass mit meinem Gehirn tatsächlich etwas nicht stimmte, dass ein Botenstoffmangel durch Stress eingetreten war (möglicher ererbter Fehler im Regelkreis des Stresshormons Corticotropin) erkannte ich erst nach meiner letzten Depression, als ich das Thema zu studieren begann. Er leuchtet mir in meinem Fall ein, denn die antidepressiven Medikamente, die ich einnehmen musste, haben es mir ermöglicht, aus dem berüchtigten Loch zu steigen. Richtig gut geht es mir, seit ich die Depression und ihr Wesen studiere, mit Ärzten, vielen KollegInnen und Angehörigen darüber rede und mich heute dabei komfortabel fühle. Tatsächlich ist die Depression für mich kein Schrecken und Gespenst mehr; wenn sie wieder käme, hoffe ich, sie verscheuchen zu können...


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